Diesen Sonntag der Auferstehung werde ich nie vergessen. Nie!
Das Leben ersteht, und dazu an einem Ostertag. Aber dieses Leben wurde geboren in der Qual des Kreuzes und verschaffte sich Licht in einem leeren Grab.
Um 8.00 Uhr beginnt die Feier der Eucharistie in unserer Pfarrei Kreuzerhöhung in Kiew mit einer Sakramentsprozession im Pfarrgebiet. Es ist sehr kalt, aber die kleine Kirche ist voll. Die Prozession ist eine Metapher für das Leben selbst. Wir singen Freude und Vertrauen über seine Auferstehung inmitten des Todes. An der Feier nehmen mehrere Soldaten und Polizisten in Uniform teil, die den Moment intensiv erleben.
Den Vorsitz führt Pater Benedict und es predigt der Priester Maciej, dessen Organisation PRO SPE fast wöchentlich für humanitäre Hilfe in die Ukraine reist. Ihre Worte und ihre Anwesenheit sind in diesen Tagen auch ein Geschenk kirchlicher Gemeinschaft.
Am Ende der Messe herzlicher Dank von den Leuten. Sie schenken mir ein T-Shirt mit der Aufschrift „Es lebe die Ukraine“ und gelbe Blumen. Zwei Laien aus der Gemeinde danken mir für den Mut, als Hirte inmitten der bedrohten Schafe aufzutauchen und danken den Karmelitern, die geblieben sind, um sich um die Menschen zu kümmern. Sie sagen uns, dass auch sie die Fürsorge und Unterstützung aller brauchen, um andere zu unterstützen und zu ermutigen. Sie singen ein bewegendes Lied, in dem es heißt: „Gesegnet im Namen des Herrn“. Ich danke ihnen sehr für ihre wertschätzenden Worte und bin stolz auf meine Brüder, auf ihre Hingabe und darauf, hier zu sein. Ich nenne sie einzeln mit Namen und danke für ihr Leben. Ich segne das Leben aller hier. Niemals werde ich diesen Sonntag der Auferstehung vergessen. Am Schluss überreiche ich ihnen ein Geschenk: ein Reliquie von Therese und ihren Eltern Celia und Louis. Und auch von Miriam von Bethlehem, und rufe den Segen auf ihre Familien und alle Familien herab, die in diesen Tagen große Verluste erlitten haben, dass Therese unsere Nacht erhelle und Miriam uns in Demut und im Nichts des leeren Grabes die Fülle der Barmherzigkeit für den Gott des Lebens leben lässt. Sie freuen sich sehr über mein Geschenk.
Nach der Messe werde ich überhäuft von ihren Umarmungen und ihrem Lächeln. Alle sprechen mir den Ostergruß in ukrainischer Sprache zu.
Wir nehmen das Frühstück ein, das hier wie eine Mahlzeit ist, das nächste Essen wird erst gegen 18 Uhr sein. Dann machen wir uns auf den Weg: Benedict, Jozef, Maciej, Bogdan und ich zu erschütternden Orten.
Zuerst besuchten wir das große Seminar in Kiew (Worzel), das sich in einem Wald, auf dem Land, nur wenige Kilometer von der Stadt entfernt, befindet, und wurden vom Rektor, Pater Ruslan, jung, schlank, mit Sutane und Kollar empfangen, zusammen mit einigen Freiwilligen und Mitarbeitern, die mit ihm im Bereich der humanitären Hilfe für Familien arbeiten. Das Seminar wurde von den Russen geplündert und sie nahmen alles mit, was sie wollten. Auf dem Schulhof wurde eine Streubombe abgeworfen, deren Auswirkungen uns schockierten. Teile des Geschosses flogen durch die Fenster und trafen die Statue Unserer Lieben Frau von Fatima und rissen ihr den Kopf ab. Wir haben das Einschussloch im Hof und seine zerstörerische Kraft feststellen können.
Pater Ruslan und andere Freiwillige begleiten uns den ganzen Tag zum nächsten Ort, dem Lager der Russen im Wald, die für das Massaker von Bucha verantwortlich sind. Wir gehen vorsichtig durch die Bäume. Wir fanden alles so, wie sie es vor 14 Tagen verlassen haben, mit den Schützengräben im Boden, und die provisorische Einrichtung. Es macht uns sprachlos, und die Seele wird von unbeantworteten Fragen durchdrungen: Wie kann sich der Mensch mitten im Jahr 2022 zu solchen Gräueltat hinreißen lassen? Es ist kein Film, es ist kein Schwarz-Weiß-Film aus den 42er Jahren, es ist keine Biografie, die von Auschwitz spricht. Die Russen sind hier vor zwei Wochen weggegangen, und schon der Gedanke lässt mir die Haare zu Berge stehen: Da ist das Obst in den Kisten, die Kaffeemaschine, die Socken hängen noch da, die leeren Wodka-Flaschen, die Stiefel auf dem Boden, die Kisten mit dem Essen, die Vitaminpillen usw. Wir treten vorsichtig auf diesen Boden, falls es irgendwo noch Minen geben sollte. Aber wir wollen sehen und sehen, um der Welt erzählen zu können, was wir gesehen haben. Eine echte Science-Fiction-Geschichte. Die Seele ist aufgewühlt, empört, wie eine Streubombe von Kopf bis Fuß. Oh, mein Gott! Wie ist das möglich? Von hier aus gingen sie in die Nachbarstädte und verübten Gräueltaten. Von hier erhielten sie von ihren Vorgesetzten den Auftrag, frei zu tun, was sie wollten. Ich rede mit Jozef und denke laut: Auch sie werden Mutter und Schwester und Großeltern und Kinder haben. Also, wie kann man das Leben so verletzen, dass…? Wir schweigen und beten. Wir gehen den Weg des Schreckens weiter durch die Straßen von Borodzianka, Bucha und Irpin. Ich kann nicht in Worte fassen, was wir gesehen haben. Ihr werdet einige Fotos sehen, und ich bitte Euch, nicht wegzuschauen, weil dieser Film real ist und die Opfer es verdienen, dass wir uns umsehen, aufwachen und uns unser Leben bewusst machen. Zerstörte Panzer, zerstörte Häuser, zerstörte Gebäude, zerstörte Krankenhäuser, ein finsteres, dämonisches Spektakel; zerstörte Brücken, Autos umgekippt. Und das Gefühl, privilegierte und verblüffte Zeugen zu sein, dass die Hitlers und die Stalins, die Mussolinis und die Pinochets, die Gaddafis, nicht von der menschlichen Bühne verschwunden sind, auch wenn es schwer ist zu glauben. Auch Hitler jubelte eine große Masse zu und begrüßte ihn als Retter. Ich kann es nicht ertragen, dass jemand diesen Schrecken mit irgendwelchen ideologischen Gesten rechtfertigt.
Im Herzen von Bucha, wo die Leichen von 98 Menschen abgelegt wurden, die auf den Straßen niedergeschossen wurden, beteten wir lautstark an der Stelle des Massengrabs. Und von dort aus senden wir unsere Osterbotschaft an den gesamten Orden. In diesem leeren, aber wirklichen Grab bringen Jozef, Benedict und auch Marek, der in der Pfarrei geblieben ist, und auch ich zusammen mit dem ukrainischen Karmel die Verbundenheit mit dem gesamten Orden zum Ausdruck.
Neben einer Tür, auf dem Boden, wo die Leiche eines alten Mannes lag, legten sie gelbe Blumen nieder. Wir beteten zu Maria und beteten für alle. Christus hat den Tod besiegt. Christus ist auferstanden. Sie sind nicht hier, sie sind bereits im Haus des Lebens. Sie genießen den Frieden Gottes in der Heimat ohne Ende.
Ich umarme Ruslan, den jungen Rektor, der uns so freundlich begleitet hat, und der mit den Familien der Opfer in Kontakt stand, und versprachen unser Gebet. Ich sage ihnen, dass der Karmel für die 25 Seminaristen in Kiew und für ihn beten wird. Zum Abschied, eine feste Umarmung.
Wir begeben uns auf den Weg zur Pfarrei eines Herz-Jesu-Priesters, Tadeusz, der in den schwierigsten Zeiten in Irpin, einer der zerstörten Städte, hier geblieben ist. Er zeigt uns seine Kapelle, die der heiligen Therese geweiht ist. Wir gaben ihm einen Ofen, um die Pfarrräume zu heizen, den wir den ganzen Tag in Maciejs Jeep mitgeführt haben.
Wir kehren für eine argentinische Radiosendung nach Hause zurück, und besuchen Veronika und Aleksander, Mitglieder des OCDS von Kiew. Wir sind herzlich willkommen in ihrem bescheidenen Haus, das auch von einer Streubombe getroffen wurde. Veronika spricht begeistert vom OCDS und gibt uns Geschenke und ein Buch mit Texten von den Heiligen des Karmel, von denen es nur wenig in Ukrainisch gibt. Ihre Begeisterung sprang auf uns über. Wir beteten für den OCDS in Kiew und in der Ukraine.
Wir kehren in die Pfarrei zurück, es ist spät geworden. Ab 22 Uhr ist Ausgangssperre. Herzliche Umarmungen zum Abschied.
Ich freue mich sehr, sie so stark zu erleben und bin sehr froh, dass ich nach Kiew gekommen bin und mich von ihrem Zeugnis und der brüderlichen Präsenz einfacher Menschen berühren lasse. Sie sind ein lebendiges Zeichen für Gottes bedingungslose Nähe zu jedem Menschen. Gott segne euch, meine Brüder! Ich bin stolz auf euch und verabschiede mich und wünsche ihnen auf Polnisch starken Mut.
Wir kommen nur mit Schwierigkeiten aus Kiew hinaus, der Navigator weiß nichts von Barrikaden und Straßensperren. Nach einer Weile konnten wir die Stadt verlassen. Wir haben wenig Benzin, nur noch für 40 km, haben aber etwa 150 km vor uns. Jozef betet zum Heiligen Geist und sagt, dass er nie versagt. Es ist schon spät, ich kann mir vorstellen, auch im Auto zu schlafen. Aber als wir an einer Tankstelle vorbeikommen, sehen wir ein kleines Licht und bekommen nicht 20, sondern 30 Liter. Und der Tankwart lässt Dampf ab und erzählt Jozef seine Gefühle..
Bevor wir ankommen, passieren wir viele Militärkontrollen. Wir beten Vesper und Komplet. Wir beten für all die Menschen, die wir getroffen haben, und beten zu Gott um Frieden und um das Ende von so viel Bösem. Wir brauchen fast vier Stunden um nach Gwozdawa zu kommen, ein ruhiges Haus auf dem Land, wo die Patres täglich mit den etwa 100 Einwohnern Eucharistie feiern.
Es ist schon nach 23 Uhr. Und der Tag war anstrengend, beeindruckend, überwältigend. Auferstandener Christus, heile das Land der Ukraine, heile seine Wunden. Heile unsere Welt.